Wien bleibt rot

Guten Morgen!

Wien bleibt klar in sozialdemokratischer Hand, während die zweitplatzierte FPÖ trotz Schlagzeilen über Zugewinne deutlich unter ihren Bestmarken bleiben. Deinen Morgenmoment schickt dir heute Angela Alexa.

#1 Die Zahlen des Tages

Nach der Wien-Wahl 2025 ist vielerorts von „großen Zugewinnen“ der FPÖ die Rede. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt: Die Freiheitlichen sind zwar zweitstärkste Partei und werden vielerorts zum “klaren Wahlgewinner” ausgerufen, liegen aber mit 20,4 % (Stand 27.04.2025, 22:00 Uhr - kleinere Schwankungen waren noch möglich) weit unter ihrem historischen Rekordergebnis von 2015 (31,0 %). Ihr aktuelles Plus ist vor allem im Kontext des massiven Absturzes 2020 (damals nur 7,1 % nach dem Ibiza-Skandal) zu sehen – das Niveau von 2015 und auch 2010 bleibt in weiter Ferne.

Noch deutlicher ist der Absturz bei der ÖVP: 2015 lag sie bei 9,2 %, konnte sich 2020 auf 20,4 % mehr als verdoppeln – und war damit zweitstärkste Kraft. 2025 ist dieser Zugewinn jedoch komplett verloren gegangen. Mit 9,5 % liegt die ÖVP nun praktisch wieder auf dem Niveau von 2015, weit entfernt von einer bedeutenden Rolle in der Wiener Stadtpolitik. Das bedeutet einen Absturz von Platz zwei (2020), vermutlich auf Platz fünf und einen Verlust von rund 11% gegenüber der letzten Wahl.

Die SPÖ hingegen bleibt mit 39,3 % klar stärkste Kraft und gewinnt die Wahl erneut, auch wenn sie leichte Verluste gegenüber 2020 hinnehmen muss. Bürgermeister Michael Ludwig hat rechnerisch jede Koalitionsoptionen, schließt eine Zusammenarbeit mit der FPÖ aber aus.

Überraschungen gab es bei den Grünen und den NEOS: Die Grünen konnten mit 14,7 % ihr bestes Ergebnis nahezu halten und feiern eine echte Trendwende – noch vor einem Jahr lagen sie in Umfragen im einstelligen Bereich.

Auch die NEOS legen zu und erreichen mit 9,7 % ihr bisher bestes Wiener Ergebnis. Beide Parteien zeigen sich am Wahlabend entsprechend euphorisch. Die KPÖ/Links konnte ihr Ergebnis im Vergleich zu 2020 verdoppeln und liegt bei 4,2 % – auch wenn es für den Einzug in den Gemeinderat knapp nicht reicht, wertet die Partei das als historischen Achtungserfolg. (Alle aktuellen Ergebnisse findest du in der Früh hier.)

#2 Möchtest du das teilen?

Wer im Drogeriemarkt oder beim Friseur genau hinschaut, merkt schnell: Produkte und Dienstleistungen für Frauen kosten deutlich mehr – und das bei oft identischem Inhalt. Die wirtschaftliche Diskriminierung von Frauen reicht weit über teurere Rasierer und Friseurbesuche hinaus, beleuchtet Hannah Müller in ihrem Artikel.

#3 In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Wenn ein 21-jähriger Schwarzer Mann mehreren bewaffneten Polizisten gegenübersteht und an drei Schüssen - von hinten - stirbt, dann ist das kein tragisches Versagen. Das ist tödliche, rassistische Gewalt. Am Ostersonntag wurde Lorenz (21) in Oldenburg von der Polizei erschossen – ein weiterer tödlicher Fall von institutionellem Rassismus.

Der Polizist, der Lorenz A. erschossen hat, wurde suspendiert. Es läuft ein Verfahren wegen Totschlags. Die benachbarte Polizeidienststelle ermittelt. Doch echte Gerechtigkeit braucht unabhängige Ermittlungen - nicht von Polizei gegen Polizei. Lückenlose Aufklärung fordert auch das Bündnis "Gerechtigkeit für Lorenz". "Es reicht nicht, auf interne Ermittlungen zu vertrauen. Zu oft wurden Fälle wie dieser unter den Teppich gekehrt – das darf nicht wieder passieren", schrieb das Bündnis.

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland sind bereits mehrere Schwarze Menschen und PoC (People of Color) durch Polizeigewalt getötet worden. Doch der strukturelle Rassismus durch Polizei zeigt sich viel früher. Schwarze Menschen und PoC werden in Österreich fast doppelt so oft kontrolliert wie andere (Racial Profiling). Misshandlungsvorwürfe von Betroffenen führen fast nie zu Anklagen – viele schweigen aus Angst oder Misstrauen. Nach rassistischer Polizeigewalt schützen Polizei und Medien meist die Täter*innen und nicht die Opfer. Der sogenannte „Shooter Bias“ – das rassistische Vorurteil, Menschen mit Migrationsbiografie, Schwarze Personen und People of Color schneller als Bedrohung wahrzunehmen – ist wissenschaftlich belegt.

Was kannst du dagegen tun? Bleib stehen, wenn du eine Kontrolle bei PoC oder migrantischen Personen beobachtest. Schon deine Anwesenheit kann schützen und signalisiert: Hier wird hingeschaut. Mach deutlich, dass du das Geschehen beobachtest und nicht einverstanden bist. Unterstütze Initiativen und Demonstrationen.

Solidarität und Sichtbarkeit sind unser Schutzschild für alle, die von Rassismus und Polizeigewalt bedroht sind. Je mehr Menschen hinschauen, desto sicherer werden alle. Es liegt an uns allen, laut zu bleiben, Solidarität zu zeigen und für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der niemand Angst vor der Polizei haben muss, sondern sich geschützt fühlt.

Über Polizeigewalt und Rassismus müssen wir immer sprechen – nicht erst, wenn Menschen die tödlichen Konsequenzen erleiden. Wegschauen schützt nur die Täter:innen, nie die Betroffenen.

Der Fall Lorenz darf nicht vergessen werden.

#4 Das geht noch besser

Seit Ende November 2023 können Schwangerschaftsabbrüche direkt am Landeskrankenhaus Bregenz durchgeführt werden – ein wichtiger Schritt für reproduktive Selbstbestimmung. In den ersten 14 Monaten wurden dort 293 Abbrüche vorgenommen. Das zeigt: Das Angebot war notwendig.

Etwa 70 Prozent der Abbrüche am LKH erfolgen medikamentös, 30 Prozent operativ. Die moderne medizinische Praxis eröffnet echte Wahlmöglichkeiten. Besonders die medikamentöse Methode gilt als sicher, schonend und ermöglicht den Betroffenen mehr Kontrolle über den Ablauf.

Das neue Angebot im LKH Bregenz trägt auch dazu bei, dass weniger Betroffene auf externe Beratungsstellen angewiesen sind. Die psychosoziale Beratung vor Ort wird zunehmend angenommen – viele fühlen sich ernst genommen, informiert und begleitet. Das ifs (Institut für Sozialdienste) bietet direkte Beratung im Spital – ohne Umwege und ohne Hürden. Unterstützung gibt es bei sozialen, psychologischen, finanziellen und rechtlichen Fragen.

Trotzdem bleibt der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Vorarlberg weiterhin erschwert. Es gibt nur wenige Angebote, und das gesellschaftliche Klima ist in Fragen reproduktiver Rechte stark konservativ geprägt. Es ist polarisiert und belastet zusätzlich. Schwangerschaftsabbruch wird noch immer tabuisiert und nicht als Teil grundlegender Menschenrechte und medizinischer Versorgung anerkannt.

Besonders problematisch: Vor dem LKH gibt es keine Schutzzone. Abtreibungsgegner:innen versuchen regelmäßig, Betroffene beim Betreten des Krankenhauses abzufangen. Der Verein Pro Choice Vorarlberg organisiert regelmäßig Gegenbewegungen und unterstützt Menschen vor Ort solidarisch.

Auch die finanzielle Hürde ist für viele schwer zu überwinden: Ein Abbruch kostet rund 720 Euro. Für viele junge Menschen unter 25 ist das kaum leistbar. Michaela Moosmann vom Verein Amazone: „Es braucht dringend Zuschüsse, damit finanzielle Not kein Hindernis für Schwangerschaftsabbrüche ist.“

Reproduktive Rechte sind Menschenrechte – und sie müssen für alle garantiert werden. Der Zugang zu einem sicheren, selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch darf kein Privileg sein, sondern muss selbstverständlich sein – überall und für alle.

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  • Wie verzerrend die Kronen Zeitung vor der Wien-Wahl berichtet und was die Menschen in Wien darüber denken, erfährst du in diesem Text oder heute auch in diesem Video.

Viele Sonnenstunden trotz Montag wünscht dir,

Angela

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